Welche Erwartungshaltung haben Kandidaten an den Bewerbungsprozess?
Die Entwicklung vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmermarkt wirkt sich positiv auf die Ausgangslage von Arbeitssuchenden aus. Da verfügbare Fach- und Führungskräfte zunehmend Mangelware sind, ist es in vielen Fällen nicht mehr die Aufgabe der Bewerber, sich anzupreisen. Vielmehr müssen Unternehmen inzwischen für sich werben und auch den Rekrutierungsprozess auf die gestiegenen Anforderungen und Erwartungen der Bewerber optimieren.
Für eine Investition in die Candidate Experience spricht nicht nur der positive Einfluss auf die Talent-Gewinnung. Auch das Unternehmensimage wird nachweislich von den Kontakterfahrungen während des Bewerbungsprozesses beeinflusst. Sie zu optimieren ist damit eine strategische Unternehmensentscheidung.
Was erwarten Bewerber im Prozess?
Warum brechen Bewerber ab?
Eine Studie von softgarden hat die Ansprüche der Arbeitssuchenden untersucht. Eine der Kernaussagen der Studie mit zirka 6.500 Teilnehmern ist: 58 % der Befragten haben in der Vergangenheit einen Bewerbungsprozess abgebrochen, obwohl sie an der ausgeschriebenen Position interessiert waren.
Die Top 3 der Gründe sind:
- 56 % war das Bewerbungsverfahren zu umständlich
- 42,5 % empfanden die Reaktion des Unternehmens als unangemessen langsam
- 41,9 % hat das unsympathische Auftreten von Vertretern des Unternehmens im Prozess abgeschreckt
Welches Bewerbungsverfahren wird bevorzugt?
Die User Experience ist für den Bewerbungsprozess ein entscheidendes Thema. Bevorzugt werden Bewerbungen per E-Mail am stationären Rechner oder Laptop (48,9%) und das Ausfüllen von Online-Formularen am stationären Rechner oder Laptop (43,4 %). Ob E-Mail oder Online-Formular scheint dabei Geschmackssache. Unternehmen, die beide Varianten anbieten sind generell auf der sicheren Seite. Online-Formulare sollten sich allerdings auf die Abfrage positionsrelevanter Daten beschränken und/oder einen Import der Daten von Social-Media-Portalen ermöglichen.
Wie viel Zeit darf die Dateneingabe bei der Bewerbung in Anspruch nehmen?
Bewerber sind von nutzerfreundlichen Onlinediensten verwöhnt und erwarten auch bei der Onlinebewerbung einen zügigen Prozess. Bei der Dauer der Dateneingabe empfinden 45,1% der Befragten weniger als 10 Minuten als angemessen, 32,2% sind bereit 10-20 Minuten zu investieren. Auch hier wirkt sich die Beschränkung der Formularfelder auf das Notwendigste und der Datenimport von Social-Media-Portalen positiv aus.
Wie schnell sollten Arbeitgeber antworten?
Bei der Frage wie viel Zeit maximal zwischen der schriftlichen Bewerbung und der Einladung zum Vorstellungsgespräch liegen sollte, antworteten die Befragten der Studie wie folgt:
- 14,6 % halten weniger als eine Woche als angemessen
- 56,7 % empfinden 1-2 Wochen Wartezeit in Ordnung
- 27,2 % würden auch 2-3 Wochen auf die Einladung warten
Die Erfahrung zeigt: je attraktiver das Talent, desto schneller sollte gehandelt werden. Bei gefragten Kandidaten gibt es häufig nur ein kurzes Zeitfenster von wenigen Tagen für die Rückmeldung.
Welche Konsequenzen hat eine negative Bewerbungserfahrung?
Bei einer negativen Erfahrung im Bewerbungsprozess springt der Kandidat gegebenenfalls ab. Doch dabei bleibt es nicht, denn die erfahrene Enttäuschung hat umfangreiche Auswirkungen:
- Negative Bewertungen auf Portalen wie kununu oder glassdoor beeinflussen das Arbeitgeberimage. Einer Studie von softgarden zufolge nutzen bereits 45,7% der Arbeitssuchenden die Onlinebewertungsportale, um sich über potenzielle Arbeitgeber zu informieren. Knapp 53 % haben sich schon einmal gegen eine Bewerbung entschieden, weil der Arbeitgeber auf einer Plattform schlecht bewertet wurde.
- Die Candidate Journey Studie von Careerbuilder (2017) fand heraus, dass circa 53 % der Kandidaten nicht mehr bei dem Unternehmen einkaufen würden, wenn sie
- keine Antwort auf ihre Bewerbung erhalten
- eine schlechte Erfahrung im Vorstellungsgespräch hatten
- nach dem Vorstellungsgespräch nichts mehr von dem Arbeitgeber hören
- Ein häufig zitiertes Beispiel des britischen Unternehmens Virgin Media macht das deutlich: Abgelehnte Bewerber wurden nach Ihren Erfahrungen und dessen Konsequenzen befragt. Vielfach bemängelten die Kandidaten, dass sie nicht wertschätzend behandelt wurden oder keine Rückmeldung vom Unternehmen erhalten haben. Häufig kündigten sie an, ihren bestehenden Vertrag bei Virgin Media zu kündigen. Nach internen Recherchen stellte sich heraus, dass 18 % der abgelehnten Personen auch Kunden waren. Und tatsächlich ergaben weitere Analysen, dass 6 % der Kunden nach einer negativen Erfahrung im Bewerbungsprozess ihren Vertrag auflösten. Daraus resultierend bewirkten die rund 123.000 abgelehnten Bewerber pro Jahr 5,4 Mio. EUR Verlust – allein durch die schlechte Candidate Experience.
Checkliste für eine erfolgreiche Candidate Experience
Erwartungsmanagement und Dialog
- Transparenz: Gibt es einen lückenlosen Dialog über den gesamten Prozess?
- Erwartungshaltung: Erläutern Sie bei jedem Kontakt die nächsten Schritte?
- Gesprächsführung: vermitteln Sie im Interview ein schlüssiges Bild?
- Timing: Antworten Sie dem Bewerber zeitnah?
- Sind Ihre Absagen wertschätzend und begründen Sie diese?
Wertschätzung
- Behandeln Sie Ihre Bewerber wertschätzend?
- Hören Sie Ihnen genau zu und kommunizieren Sie auf Augenhöhe?
- Sorgen Sie für eine angenehme Atmosphäre bei Gesprächen?
- Schätzen Sie die Zeit, die der Bewerber in den Prozess einbringt?
Evaluierung und Optimierung aus Bewerbersicht
- Holt Ihre Karriere-Seite / Webseite Interessenten erfolgreich ab? Wird sie Ihrer Relevanz als häufiger erster Kontaktpunkt gerecht?
- Haben Sie den Bewerbungsprozess aus Kandidatensicht durchlaufen? Kennen Sie die Schwachstellen?
- Ist der Bewerbungsprozess intuitiv?
- Holen Sie regelmäßig Feedback zum Bewerbungsprozess ein?
- Bieten Sie alternative Bewerbungsformen wie die Bewerbung per E-Mail und Online-Formular?
- Sind die Bewerbungsmöglichkeiten mobil optimiert?
- Verzichten Sie auf den Log-In als Voraussetzung für eine Bewerbung?
- Fragen Sie in Formularen nur positionsrelevante Daten ab?
Entwicklung des Prozesses
- Sind die Bewerbungsprozesse standardisiert?
- Würde ein höherer Grad an Digitalisierung die Prozesse vereinfachen und/oder beschleunigen?
- Leben Ihre Recruiter, als wichtigster Kontaktpunkt, die oben genannten Punkte?
- Kann die Abstimmung mit den Fachbereichsleitern optimiert werden?
Talent Relationship Management
- Nehmen Sie abgelehnte Bewerber in einen Talent Pool auf?
- Sorgt ihr Talent Pool für eine nachhaltige Beziehung, indem er regelmäßig und mit Mehrwert an das Talent tritt?
- Ziehen Sie bei besonders attraktiven Talenten in Erwägung, sie anderweitig im Unternehmen zu positionieren oder Stellen für sie zu schaffen?
Wir beraten Sie gerne bei der Optimierung Ihres Rekruitingprozesses oder unterstützen Sie bei der Profilierung, Personalsuche, im Anzeigen- und Bewerbermanagement, sowie bei der Eignungsdiagnostik, der Kandidatenauswahl und dem Onboarding neuer Mitarbeiter. Weitere Informationen zu unseren Leistungen im Bereich Recruiting finden Sie hier.
Quellen:Softgarden Bewerbungsreport
https://go.softgarden.de/umfrage-kununu
https://arbeitgeber.careerbuilder.de/blog/4-tipps-fuer-eine-bessere-candidate-experience
https://personalmarketing2null.de/2018/10/schlechte-candidate-experience-kostet-millionen